Tender

Sven Glatzmaier zeigt in seiner Ausstellung „Tender“ zwei Orte, die im Sinne Michel Foucaults als Heterotopien zu verstehen sind und entsprechend unterschiedliche gesellschaftliche Zustände repräsentieren.
Der erste Raum ist verdunkelt und mit Bäumen versehen. Er lädt zum Warten ein. Darauf verweisen die Warteschlaufen, wie sie in Straßenbahnen der LVB verwendet werden. Der Besucher kann sich dort festhalten, während er wartet. Nur worauf?
Ist es die äußere Bewegung, die mitreißen soll, also die Hoffnung durch Andere bewegt zu werden, oder ist es das Warten auf eine höhere Bewusstseinsstufe, eine Eingebung, eine andere Sicht auf die Dinge, auf die Welt oder auf das eigene Ich? Sven Glatzmaier verweist auf Platons Höhlengleichnis und überlässt es den Besuchern, in den Schatten zu verweilen oder die Quelle der Schatten zu suchen. Asche ist an den Bäumen und an den Wänden. Unter den Schuhen knirscht es. Der Geruch zertretener Kaffeebohnen steigt in die Nase. Der Künstler sagt über den Ort: „Hier gibt es keine Gefangenen wie bei Platon, niemand wird festgehalten, aber wir Menschen sind häufig gefangen, ohne gefesselt zu sein, gefangen in einer Wartestellung.“ Was hält uns zurück? Der Titel des Raums, ein Zitat Hölderlins, bietet eine mögliche Antwort „Drum, so wandle nur wehrlos Fort durchs Leben, und fürchte nichts!“
Das grelle Licht des zweiten Raums verweist auf eine diametrale Einheit. „Komm ins offene, Freund!“ – ebenfalls ein Zitat Hölderlins – ist hier der Titel. Gott? Hoffnung? Paradies? Utopie? Es gibt Spiegelgoldarbeiten, ein Beet mit Pflanzen und Sprösslingen darin und einen Narren „Seh wie golden du bist“, scheinen die Spiegel zu rufen und „hier ist Licht!“ Der Narr wiederum steht für das Neue, für Leichtigkeit und Neutralität.
Eine Schwelle verbindet beide Räume. Sie nimmt eine besondere Bedeutung ein, indem sie öffnet und zugleich begrenzt, Sie ist der Zustand des „Dazwischen“. Das „Zwischen“, das sich immer wieder neu erfinden kann und neu erfinden muss, um in das Licht zu führen. Dr. Konstanze Caysa hat einen dafür passenden Begriff der „Metatropie“ geprägt, die „Zwischenwende“, die Kehre zwischen mir und ich, als immerwährende Pubertät, die es möglich macht, zum Schöpfer zu werden, zum Künstler, Mensch zu sein und nicht Mann oder Frau – dieses Switchen zwischen mir und ich, ist das hier der Weg zum Licht? Zu Gott? Zu Gott in uns? Zur Hoffnung? Zum Paradies? Zur Erkenntnis der Quelle der Schatten?
Lu Potemka